Erbstreitigkeiten lassen sich vermeiden

Sie hatten Ralf Nieke, Fachanwalt für Erbrecht, (2.v.l.) als Referenten zu Gast: (v.l.) Andreas Hieke, Florian Kapfhammer und Otmar Hausfelder von der Sparkasse Passau. − Foto: zema-medien.de

Passau. Wie sehr das Thema Erben und Vererben die Menschen beschäftigt, wurde bei den Passauer Erbrechtstagen deutlich, die mit einer Abschlussveranstaltung der Sparkasse Passau über 250 Zuhörer anlockten. Ralf Nieke, Fachanwalt für Erbrecht und zertifizierter Testamentsvollstrecker, der seit über 20 Jahre Partner der Kanzlei Prof. Gerauer in Pocking und seit 20 Jahren ausschließlich im Erbrecht tätig ist, sprach zum Thema „Gerecht verteilen, Streit vermeiden beim Vererben“.

Der Referent betonte, dass in Deutschland jährlich 400 Milliarden Euro vererbt werden, je Todesfall durchschnittlich 400000 Euro. Trotzdem habe weniger als ein Drittel der erwachsenen Bundesbürger ein Testament. Das ist in Passau nicht anders, wie die Nachfrage des Referenten im Saal ergab. Gerade einmal 10 der 250 Gäste im Saal hatten bereits ein Testament verfasst.

Fakt ist: Wenn kein Testament vorhanden ist, gilt im Todesfall die gesetzliche Erbfolge. „Fast immer kommt es dann zur Bildung einer Erbengemeinschaft mit den Begleiterscheinungen schematisch, unkalkulierbar, streitanfällig, ungerecht”, sagte der Experte. Sein eindringlicher Appell: Jeder Erwachsene sollte ein Testament machen.

Als typisches „Laientestament“ bezeichnete er es, wenn einzelne Gegenstände auf nahestehende Personen verteilt würden, ohne zu bestimmen, wer Erbe werden solle. Die Folge: langwierige und teure Streitigkeiten über die Auslegung des Testaments.

Sein Tipp, wie man es besser machen kann: eindeutig bestimmen, wer Erbe werden soll. Beim Umgang mit juristischen Begriffen sei zudem Vorsicht geboten: Vererben und Vermachen würden von Laien häufig verwechselt, sagte er. Außerdem riet Nieke, keine Muster zu verwenden und niemals einer KI zu vertrauen. Sein Schluss: „Eine fachkundige Beratung ist immer erforderlich.“

Die meisten Ehepaare mit Kindern in Deutschland, die sich Gedanken über ihr Erbe machen, verließen sich auf das sogenannte „Berliner Testament“: Dabei setzten sie sich gegenseitig zum Alleinerben ein, d.h. der Erstversterbende wird vom länger lebenden Partner alleine beerbt. Erst beim Tod des Längerlebenden erben die Kinder zu gleichen Teilen.

Die Vorteile des „Berliner Testaments“ sind: Die Entstehung einer Erbengemeinschaft wird verhindert, der Ehepartner als Alleinerbe kann frei über das Vermögen verfügen, was sich insbesondere bei selbst genutztem Wohneigentum auszahle. Doch es gebe auch Nachteile: So werden durch das „Berliner Testament“ steuerliche Freibeträge verschenkt, insbesondere bei größeren Vermögen muss unnötig viel Erbschaftssteuer bezahlt werden. Außerdem können Pflichtteilsansprüche der enterbten Kinder die Liquidität des länger lebenden Elternteils gefährden. Hinzu kommt die Bindungswirkung wechselseitiger Verfügungen, d.h. der überlebende Ehegatte kann das Berliner Testament nicht mehr ändern. Das ist beispielsweise dann ungünstig, wenn er erneut heiratet.

Da es sich beim „Berliner Testament“ um ein gemeinschaftliches Testament handelt, können Eheleute es auch nur gemeinsam aufheben. Der Widerruf durch einen Ehepartner ist möglich, solange beide noch leben. Ist einer der Partner bereits verstorben, kann der andere die wechselseitigen Verfügungen nicht mehr widerrufen.

Dass das Thema Vererben mit Streit verbunden sein kann, machte Nieke anhand von Zahlen deutlich. „In ca. 19 Prozent der Erbfälle kommt es zu Rechtsstreitigkeiten, Tendenz steigend“, sagte er. Bei den häufigsten Streitigkeiten im Erbfall geht es um die Wirksamkeit des Testaments, die Auslegung, Pflichtteilsansprüche, Auskünfte (Nachlassverzeichnis, Rechenschaft), Bewertungen, Schenkungen, lebzeitige Vermögensabflüsse, Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft.

„Da eine Mehrzahl von Erben eine Erben-gemeinschaft bildet, ist Streit vor-programmiert“, so die Erfahrung des Anwalts. Emotionen, (Ehe-)Partner beeinflussen die Beteiligten; ein enormes Konfliktpotenzial, gerade wenn ein Elternteil weggefallen ist. „Solche Streitigkeiten in der Familie stellen eine enorme emotionale Belastung für alle Beteiligten dar, oft kommt es dazu, dass Familien zerbrechen“, weiß er.

Die finanzielle Folge eines Rechtsstreits: „Bei einem Wert des Nachlasses von 800 000 Euro kann es zu circa 60 000 Euro Prozesskosten kommen, die Gutachterkosten nicht mitgerechnet“, warnt der Experte.

Und auch hier hatte der Referent Tipps dabei, wie man das vermeiden könne. Rechtzeitig miteinander reden und Mediation lauteten die Schlagworte. Als „Fahrplan“ für mehr Gerechtigkeit und weniger Streit nannte er eine klare Kommunikation in der Familie, in der man über Interessen, Bedürfnisse und die zukünftige Verteilung rede. Als wichtigen Punkt nannte er eine rechtliche Beratung beim Fachanwalt für Erbrecht, eine steuerliche Beratung und letztendlich das maßgeschneiderte Testament. Sein Fazit: „Erbstreitigkeiten lassen sich vermeiden. 

Im Anschluss hatten die Zuhörer Gelegenheit, Fragen zu stellen, wovon ausgiebig Gebrauch gemacht wurde.

Passauer Neue Presse vom 13.11.2024